Das Reinheitsgebot für Bier in Deutschland genießt einen guten Ruf, doch um hochwertiges Bier zu brauen sei es heutzutage nicht mehr essenziell. Das betont der Gärungstechnologe Prof. Dr. Ralf Kölling-Paternoga von der Universität Hohenheim in Stuttgart. Im Gegenteil: Das reinheitsgebot schließe sogar etliche schmackhafte Biersorten aus. Dabei sei Roggen-, Mais- oder Kartoffelbier sehr schmackhaft. Und auch der Herstellungsprozess würde ohne Abstriche bei der Qualität vereinfacht, wenn das Reinheitsgebot wegfiele.
Das Reinheitsgebot sollte ursprünglich die Preise festlegen, die Konsumenten vor minderwertigen Zutaten schützen und dafür sorgen, dass kein wertvoller Brotweizen verschwendet wird. Doch in der heutigen Zeit schränke es zu sehr ein, meint der Professor vom Fachgebiet Hefegenetik und Gärungstechnologie. „Viele gute Biersorten sind auf Basis des Reinheitsgebotes gar nicht erlaubt“, meint der Experte, „und einige für den Brauvorgang notwendige Stoffe werden mit umständlichen Tricks zugegeben, da sie laut Reinheitsgebot nicht gestattet sind.“ Seine Worte – wenige Wochen vor dem 500. Geburtstages des Reinheitsgebotes am 24. April dürften für Diskussionsstoff beim Geburtstagstreffen der Brauer in Ingolstadt sorgen.
Die Bier-Zutaten laut Reinheitsgebot sind sehr eingeschränkt: Für untergäriges Bier, bei dem sich die Hefe unten im Kessel sammelt, darf nur Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser verwendet werden. Beim seltener gebrauten obergärigen Bier – mit Hefe, die auf dem Sud schwimmt – ist zusätzlich auch noch anderes Malz erlaubt. Gar nicht zugelassen ist nicht gemälztes Getreide. „Beim Mälzen wird das Getreide angekeimt und so im Korn Enzyme aktiviert, die später für den Stärkeabbau beim Brauvorgang notwendig sind“, erklärt Prof. Dr. KöllingPaternoga.
„Die Stärke wird zu Zucker, der wiederum von der Hefe zu Alkohol vergoren wird.“ Doch für diesen Vorgang ist es nicht notwendig, das komplette Getreide in gemälzter Form zuzugeben. Ein gewisser Anteil kann durch ungemälztes Getreide ersetzt werden. Die Enzyme des Malzes erledigen dann den Abbau der Stärke in diesem Anteil mit. „Diese sogenannten Rohfruchtbiere sind absolut nicht minderwertig. Sie können sogar vollmundiger schmecken als herkömmliche Biere“, hebt Prof. Dr. Kölling-Paternoga hervor. Nicht einmal auf Gerste und Weizen müsse man sich bei der Wahl der Stärkequelle beschränken. „Auch Roggen oder Mais würden sich dafür bestens eignen. Und selbst ein Kartoffelbier kann von hervorragender Qualität sein.“
Paradox findet Prof. Dr. Kölling-Paternoga die Tatsache, dass das Reinheitsgebot zwar die Bierbereitung regelt, nicht jedoch alle Tätigkeiten in deren Vorfeld: „Hier hat man ziemlichen Spielraum.“ Insofern bezweifelt Prof. Dr. Kölling-Paternoga, dass das Reinheitsgebot heute überhaupt noch einen Sinn mache. Schließlich sei die Qualität durch das Lebensmittelrecht gesichert, und auch heute schon könne man im Prinzip für das Brauen „besonderer Biere“ eine Ausnahmegenehmigung erhalten. „Sie dürfen dann nur nicht mit dem Begriff Reinheitsgebot beworben werden“, erläutert der Experte. Ohne Reinheitsgebot würde also ein beliebtes Marketing-Instrument wegfallen – doch das könnte eine Fülle neuer Möglichkeiten wettmachen.
Quelle: Fachjournalist Herbert Latz-Weber / www.infodienst.de