Im November 2016 wurde der belgischen Bierkultur eine große Ehre zuteil. Die UNESCO nahm sie in die repräsentative Liste des Immateriellen Weltkulturerbes auf. Damit befindet sie sich in der Gesellschaft einer ganzen Reihe wahrer Genießer-Highlights. Zur Liste gehören u. a. die türkische Kaffeekultur oder die französische Küche. Im Brüsseler Rathaus Grand Place, Sitz von Belgiens größtem Brauereiverband, wurde die Auszeichnung überreicht.
Den Antrag zur Aufnahme hatte die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens bei der Deutschen UNESCO-Kommission gestellt. Ein solches Verfahren sieht zunächst vor, dass die Vorschläge in einer nationalen Liste zusammengetragen werden. Anschließend entschied die Weltkulturorganisation in Addis Abbeba über die Aufnahme. Damit es dazu kommt, muss eine kulturelle Ausdrucksform „nachweisbar lebendig und für die Trägergemeinschaft identitätsstiftend“ sein.
Von den Mönchen zur Mikrobrauerei – wie kam es zur belgischen Bierkultur?
Selbstverständlich kommt eine solche Auszeichnung nicht von ungefähr. Es braucht Zeit, eine Identität zu entwickeln. Die Tradition des Bierbrauens reicht in Belgien, ähnlich wie bei uns, zurück bis ins Mittelalter. Angefangen hat alles mit den Klosterbrauereien, die heute gern von Bier-Enthusiasten aus aller Welt besucht werden. Von den 11 Trappistenklöstern weltweit liegen sechs in Belgien. Die Qualität ist einzigartig. Dem Bier aus der Abtei West-Vleteren in Flandern sagt man nach, das beste der Welt zu sein.
Die Neuzeit brachte die maschinelle Produktionsweise und die Blüte der kommerziellen Brauereien mit sich. 1900 waren in Belgien 3.223 Brauereien registriert. Zu denen gehörte auch Wielemanns in Forest, die sich damals modernste und größte Brauerei in ganz Europa nennen durfte. Mit Ende des 1. Weltkriegs herrschte ein Mangel an Zutaten und Fachkräften. Die Anzahl der Brauereien sank bis 1920 auf 2013 Brauereien. Die Weltwirtschaftskrise und der 2. Weltkrieg machten die Lage nicht besser. 1946 gab es in Belgien nur noch 755 registrierte Brauereien.
Der Bierkultur tat das keinen Abbruch. Heute verbleiben nur noch 100 Brauereien in Belgien. Dennoch geht der Herzschlag der Braukultur in unserem Nachbarland schneller als jemals zuvor. Vor allem die Klein- und Kleinstbrauereien tragen die Renaissance der Braukunst voran. Sie sorgen für eine fast schon unüberschaubare Vielfalt der Sorten.
Zu diesen gehören auffällig viele hochprozentige Biere. Grund dafür ist das Vandevelde-Gesetz von 1919. Es sah vor, dass keine Spirituosen mehr in Bars verkauft werden durften. Folglich mussten die Biere die Nachfrage nach Hochprozentigem befriedigen. Die daraus entstandenen Stile bestehen bis heute, auch wenn das Gesetz 1983 aufgehoben wurde.
Beobachtung des belgischen Bierlebens
Bier ist aus allen Teilen der Belgischen Kultur nicht mehr wegzudenken. Selbstverständlich gilt das auch für die Belgische Wirtschaft. Im Ort Löwen sitzt mit InBev die größte Brauereigruppe Europas. Doch das ist nur das, was man beim oberflächlichen Blick auf die belgische Bierlandschaft sieht. Die Auszeichnung durch die UNESCO haben sich die Belgier durch ihren detailverliebten Umgang mit dem Thema Bier verdient.
Vielmehr geht es um die Art und Weise, wie die Belgier Bier produzieren, servieren und zelebrieren. Über die Belgier wird gesagt, je nach Tagesform greifen sie zu einer anderen Sorte Bier. So ist es nicht verwunderlich, das es für nahezu jede Biermarke ein eigenes Glas gibt. Konsumiert wird Bier in auf diesen Genuss spezialisierten Cafés und Bars.
Doch die Begeisterung für Innovationen und beginnt bereits bei der Herstellung. Handwerkstechniken werden von Generation zu Generation weitergegeben. Verschiedenste, teils recht abenteuerlich anmutende Gärtechniken wie z. B. die Spontangärung beim Lambic sorgen für Produkte jenseits des industriellen Einheitsbreis.
Geschmacksprofile vielseitig und charaktervoll wie beim Wein
Diese Vielfalt macht das Belgische Bier ähnlich facettenreich wie die Weinkultur mancher europäischer Regionen. Kleine Mengen werden auf authentische Art und Weise hergestellt und probiert. Bier gedeiht dabei zur komplexen Sinneswahrnehmung. Farbe, Aroma und Körper dürfen, intensiv beobachtet, gerochen und ausgekostet werden.
Bier spielt in Belgien auch eine große Rolle im gesellschaftlichen Leben. Vereine, Bierfeste und Verkostungsvereinigungen, sowie Initiativen zur Ausbildung von Braumeistern, spiegeln das Interesse zum Erhalt der Bierkultur wider.
Überraschend ist nur bei der Untersuchung des Belgischen Bierlebens, dass anscheinend die Belgier selbst eher zaghaft beim Konsum ihrer flüssigen Meisterleistungen sind. Der Bierkonsum ist rückläufig. Im Vergleich zu den in Deutschland getrunkenen 104 Litern pro Kopf im Jahr 2015 waren es in Belgien im selben Zeitraum nur 71 Liter. 65% der Produktion dienen dem Verwöhnen ausländischer Gaumen.
Und was ist mit uns? Ist das Bierland schlechthin etwa chancenlos?
Manch einer mag jetzt murmeln „das können wir doch auch!“. Denn nur die Tschechen trinken mehr Bier und hierzulande sind über 6.000 verschiedene Biersorten auf dem Markt. Deutsches Bier hat es jedoch bis heute nicht mal ins deutsche Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes geschafft. Warum ist das so?
Vor allem steht die Tatsache, dass Deutschland erst 2013 dem entsprechenden UNESCO-Übereinkommen beigetreten ist, das die Vergabe steuert. Belgien ist deutlich länger dabei. Im Jahr 2014 folgte eine Bewerbung aus Bayern, die jedoch abgelehnt wurde. Die Fokussierung auf das Reinheitsgebot statt auf die Praxis des Bierbrauens erwies sich als der falsche Weg. Entsprechend gilt es jetzt, die Flinte nicht ins Korn zu werfen, sondern es ab Oktober erneut versuchen, wenn wieder die Möglichkeit zur Bewerbung besteht.