Über Sinn und Unsinn einer mittelalterlichen Vorschrift
Mit dem Jahr 2016 ist nicht irgendein Jahr angebrochen. Es ist ein Schaltjahr mit 366 Tagen, es ist das Jahr der 88. Oscarverleihung, es ist das Jahr der 31. Olympischen Sommerspiele in Rio.
Zudem ist das Jahr 2016 das internationale Jahr der Hülsenfrüchte und das Wissenschaftsjahr der Geographie.
Für alle Biergeeks und Brauer aber ist 2016 vor allem das 500. Jubiläumsjahr des Deutschen Reinheitsgebotes. Im Laufe des Jahres wird es eine Serie von Veranstaltungen zu diesem Thema geben.
Wir wollen im Laufe der kommenden Wochen und Monate in einer Reihe von Beiträgen einen sehr kritischen Blick auf das Reinheitsgebot werfen. Ist es tatsächlich ein wirksamer und sinnvoller Verbraucherschutz? Auch noch in Zeiten der EU?
Warum wurde es überhaupt erlassen? Warum wurde es inhaltlich von Bayern auf ganz Deutschland ausgedehnt? Soll man daran festhalten? Oder handelt es sich um ein Relikt, dass inhaltlich längst überholt ist und kreative Brauer bei der Ausübung Ihres Handwerks behindert?
Als erstes werfen wir einen Blick auf das am 23. April 1516 durch die bayerischen Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. in Ingolstadt erlasse „Original“
”Item wir ordnen / setzen / und wöllen mit Rathe unnser Lanndtschaft / das füran allennthalben in dem Fürstenthumb Bayrn / auff dem Lande / auch in unnsern Stettn unn Märckthen / da deßhalb hieuor kain sonndere ordnung ist / von Michaelis biß auff Georij / ain mass oder kopffpiers über ainen pfenning Müncher werung / unn von sant Jorgentag / biß auff Michaelis / die mass über zwen pfenning derselben werung / und derenden der kopff ist / über drey haller / bey nachgesetzter Pene / nicht gegeben noch außgeschenckht sol werden. Wo auch ainer nit Mertzn / sonder annder pier prawen / oder sonst haben würde / sol Er d och das / kains wegs höher / dann die maß umb ainen pfenning schencken / und verkauffen. Wir wöllen auch sonderlichen / das füran allenthalben in unsern Stetten / Märckthen / unn auf dem Lannde / zu kainem Pier / merer stückh / dann allain Gersten / Hopfen / unn wasser / genommen unn gepraucht sölle werdn. Welher aber dise unsere Ordnung wissentlich überfaren unnd nie hallten wurde / dem sol von seiner gerichtzöbrigkait / dasselbig vas Pier / zuestraff unnachläßlich / so offt es geschicht / genommen werden. jedoch wo ain Grüwirt von ainem Pierprewen in unnsern Stettn / Märckten / oder aufm lande / jezuezeitn ainen Emer piers / zwen oder drey / kauffen / und wider unnter den gemaynen Pawrsuolck ausschenken würde / dem selben allain / aber sonßt nyemandes / soldyemass / oder der kopffpiers / umb ainen haller höher dann oben gesetzt ist / ze geben / unn / außzeschencken erlaubt unnd unuerpotn.“
Ok –textlich wollen wir das umsortieren und inhaltlich auf die wesentlichen Aspekte kürzen.
Die Preisregulierung mag für die Zeitgenossen der Verfasser sicherlich spannend gewesen sein, zumal das Bier außerhalb der Brausaison (von Georgi bis Michaeli – also vom 23. April bis 29. September) für das doppelte verkauft werden durfte.
Ansonsten können wir die Details der Festlegung erst einmal außer Acht lassen bis auf den Umstand, dass bei einem festgelegten Verkaufspreis der Gewinn des Produzenten nur durch Einsparungen bei Herstellung oder Rohstoffen gesteigert oder bei steigenden Rohstoffpreisen – gehalten – werden kann – was in der Folge zwangsläufig zu Einbußen bei der Produktqualität führt.
Dies ist aber immer der Fall, wenn der Preis von außen festgelegt anstatt durch Marktteilnehmer (Angebot-Nachfrage) ermittelt wird. Da dies kein spezifischer Aspekt des Reinheitsgebots, wollen wir ihn hier nicht weiter verfolgen.
Hieraus ziehen wir uns folgende Quintessenz:
„Wir verordnen, setzen und wollen mit dem Rat unserer Landschaft, dass forthin überall im Fürstentum Bayern sowohl auf dem Lande wie auch in unseren Städten und Märkten,
[…Preisfestlegung ausgelassen…]
<<jetzt folgt die Kernaussage>>>
Ganz besonders wollen wir, dass forthin allenthalben in unseren Städten, Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gerste, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen.
Wer diese unsere Anordnung wissentlich übertritt und nicht einhält, dem
[…Strafandrohung ausgelassen…]
<<und noch ein interessante Passage zum Schluss>>
Auch soll uns als Landesfürsten vorbehalten sein, für den Fall, dass aus Mangel und Verteuerung des Getreides starke Beschwernis entstünde, nachdem die Jahrgänge auch die Gegend und die Reifezeiten in unserem Land verschieden sind, zum allgemeinen Nutzen Einschränkungen zu verordnen, wie solches am Schluss über den Fürkauf ausführlich ausgedrückt und gesetzt ist.“
In den kommenden beiden Teilen der Serie zum Reinheitsgebot wollen wir darstellen, dass man nach dem Reinheitsgebot überhaupt KEIN Bier brauen kann und Gründe ermitteln warum es überhaupt erlassen wurde.
Prost
Dieter Kann
Biersommelier